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Aktuelles | El-Kothany, Helga | 03.12.2025

November-Stammtisch: Der letzte Scharfrichter von Württemberg

Wie wird ein Mensch zum Scharfrichter?

Üblicherweise übernehme der Sohn das Amt vom Vater, antwortet der Historiker Dr. Erich Viehöfer in der Regel auf die Frage.
Dass es auch andere Wege gibt, erfahren die Zuhörer beim November-Stammtisch des Zabergäuvereins, bei dem Dr. Viehöfer, ehemaliger Leiter des Strafvollzugmuseums Ludwigsburg, von seinen Nachforschungen über das Leben des Landesscharfrichters Friedrich Siller ausführlich und durchaus unterhaltsam referiert.

„Alles begann mit dem ‚Fehltritt’ einer jungen Frau in Bönnigheim.”

Friedrich wird als uneheliches Kind der Karolina Seitter geboren - was zu der Zeit auf etwa ein Fünftel aller Kinder zutrifft. Sein Vater Ludwig Siller aus der Nähe von Geißlingen erkennt die Vaterschaft an, erlaubt dem Kind, seinen Namen zu tragen, heiratet die Mutter jedoch nicht.

Den Makel der unehelichen Geburt versucht Friedrich stets zu vertuschen. Mit 16 Jahren geht er daher nach Stuttgart und arbeitet bei einem Droschkenkutscher. Droschken sind damals die üblichen öffentlichen Verkehrsmittel.

Er schwängert die junge Luise Christiane Wurst aus Zuffenhausen, allerdings heiratet er die Mutter seiner Tochter Mathilde Friderike erst Jahre später.

Zuerst leistet er seinen Militärdienst im 8. Infanterie-Regiment in Ludwigsburg ab, kämpft im Deutsch-Französischen Krieg vor Paris, ist in Straßburg stationiert und arbeitet danach ein Jahr lang als Kutscher eines Barons in Kaiserslautern.

Schließlich wird er Pferdeschlächter, also Abdecker. Er lässt auf eigene Kosten kranke Tiere schlachten und verkauft das Fleisch als Hundefutter. Die Pferde schlachtet er bei dem Kleemeister und Scharfrichter Carl Christian Seltenreich in Gablenberg. Nach dessen Tod zieht Siller selbst nach Gablenberg und wird vom Gemeinderat zuerst zum provisorischen, dann zum regulären Kleemeister ernannt. Allerdings ist es ein Beruf ohne Zukunft.

Siller verlegt sich deshalb auf den Fetthandel, verkauft Tierfett zur Herstellung von Schmiermittel und Seife und wird zum ersten Gehilfen des Landesscharfrichters Schwarz aus Öhringen.

Zu der Zeit hat das Richtschwert bereits ausgedient. Geköpft wird jetzt mit der schwäbischen Guillotine aus Esslingen, so auch bei Sillers erster Hinrichtung eines Doppelmörders in Ravensburg. Der Scharfrichter ist auch zuständig für Elsass und Lothringen.

Siller ging elegant gekleidet zu den Hinrichtungen - in Frack, Zylinder, Handschuhen -, was vor allen den Honoratioren nicht gefiel.

Den Gehilfen kommt bei den Hinrichtungen die Hauptarbeit zu.

Als Schwarz unerwartet stirbt, wird Siller, der sich als Gehilfe bestens bewährt hat, zu dessen Nachfolger ernannt. Er erhält 400 Mark Wartgeld pro Jahr, zusätzlich 50 Mark pro Hinrichtung.

Insgesamt führt er 27 Hinrichtungen in Württemberg durch. Wurde zuvor in 32 Orten hingerichtet, ist es jetzt beschränkt auf Orte mit Schwurgerichten: Tübingen, Stuttgart, Ulm, Ravensburg, Heilbronn, Ellwangen, ebenso in Straßburg, Metz, Colmar, Mühlhausen i.E. Finanziell sind die Hinrichtungen dort lohnender durch die Reisekostenvergütung.

Die Guillotine in Metz stammte noch aus der Zeit der Französischen Revolution.

Von 1905 - 1921 sind Siller und seine Gehilfen jedoch arbeitslos: Es finden keine Hinrichtungen mehr statt.

Das ändert sich 1921 unter Staatspräsident Johannes Hieber. Da ist Siller bereits 74 Jahre alt.

Allein 1921 kommt es zu 8 Hinrichtungen.

1925 findet Sillers letzte Hinrichtung statt. Da ist er bereits 78 Jahre alt und lässt sich pensionieren.

1927 stirbt er in Zuffenhausen und wird „als Kriegsteilnehmer von 1870 unter militärischen Ehren ins Grab gesenkt”. *

Seine Frau übernimmt die Fetthandlung, danach die beiden Töchter.

Zum 100. Todestag Sillers 2027 plant Dr. Viehöfer eine Publikation über den Scharfrichter.

 

*Memoiren eines Scharfrichters. In: Anzeiger vom Oberland. Nr.118, 24. Mai 1927.