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Aktuelles | El-Kothany, Helga | 08.03.2022 – 06.07.2022

März-Stammtisch: Ruggerichts- und Kirchenkonventsprotokolle

„Nirgendwo lässt sich das Leben so erforschen wie in Kirchenprotokollen“, ist das Fazit von Teilnehmer Kurt Sartorius am Ende des ersten Stammtisches des Zabergäuvereins in diesem Jahr. Tatsächlich bekamen die knapp 20 Teilnehmer der Online-Veranstaltung von Referentin Heidrun Lichner einen Einblick in die unterschiedlichsten Lebensbereiche zwischen 1756 und dem 19. Jahrhundert. Spannende, interessante, amüsante, auch befremdliche Begebenheiten, die die Heimatforscherin aus den Handschriften im Leonbronner Archiv aufgearbeitet hat.
Während im größeren Ochsenburg Kirchenkonvents- und Ruggerichtsprotokolle getrennt geführt wurden, trifft man im kleinen Leonbronn auf eine Mischform. Schließlich musste man mit allen Ressourcen sparsam umgehen.
Die Kirchenkonvente setzten sich aus Pfarrer, Schultheiß und Konventsrichter zusammen. Reglementiert, diskutiert, kommentiert und aufgeschrieben wurden fast alle Bereiche des öffentlichen wie auch zwischenmenschlichen Lebens, ob es sich um das Kirchengebäude oder den Gottesdienst handelte, um säumige Gottesdienstbesucher oder Visitationsberichte über Lehrer und Schüler, Probleme mit dem Friedhof oder der Kirchenorgel, das Verdingen von Kindern, Ehestreitigkeiten oder uneheliche Schwangerschaften.
Zumindest für die Zuhörer heute amüsant ist folgende Geschichte aus dem Jahr 1801: Der junge Schulmeister Friedrich Würtemberger beschuldigt seinen Schwiegervater, ebenfalls ein Schulmeister, dieser wolle ihm die Kirchenorgel verderben, indem er ein Steinchen in einen Windssack geworfen habe. Der behauptet jedoch, auf die unbedeckte Orgel könnten viele Steine von oben herabfallen.
Streit zwischen Schulmeistern
Das ist jedoch nicht der einzige Vorfall zwischen den beiden Männern. Der Ältere gebe seine Stelle an seinen Nachfolger nur dann ab, wenn dieser seine Tochter heirate. Die Ehe war wohl recht unglücklich. In den Unterlagen liest man von der Frau angedrohten heftigsten Schlägen und von Scheidung.
Konnte eine arme Witwe ihre Kinder nicht ernähren, sodass diese sich verdingen mussten, achtete man darauf, dass die Kinder zu „rechtgläubigen“ Familien kamen, die den Kindern auch erlaubten, an mindestens zwei Tagen pro Woche die Schule zu besuchen.


Kam dem Gericht zu Ohren, dass Leute lästerten, sich beschimpften – „Luder“ -, gar fluchten – Crüz Sacerment“ -, wurden sie zur Kasse gebeten.
Als vergewaltigte Frau konnte man kaum Hilfe erwarten. Im Gegenteil. Man musste eher noch mit einer Verurteilung rechnen. Schließlich hätte man sich heftiger wehren oder lauter schreien können, dann wäre auch jemand zu Hilfe geeilt.
Ob Bezahlung von Lehrern, das Läuten der Glocken beim Tod von Kaiser Franz I., ob unerträglicher Leichengeruch nicht verwester Körper auf dem Leonbronner Friedhof – die Kirchenbücher vermitteln detaillierte Einblicke in das Leben von einst, wenn man sich wie Heidrun Lichner die Mühe macht, alte Handschriften in umständlichem Amtsdeutsch zu entziffern.


Erfreulicherweise ziehen diese Bücher nicht wie zuerst geplant ins kirchliche Archiv nach Stuttgart um, sondern bleiben in einem feuerfesten Schrank vor Ort.