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Aktuelles | El-Kothany, Helga | 16.04.2024

Februar-Stammtisch: Das Konzentrationslager Heilbronn-Neckargartach – Umrisse seiner Geschichte

Nur wenige Wochen, bevor sich die Räumung des Konzentrationslagers in Neckargartach zum 79. Mal jährt und die Stadt Heilbronn und weitere Organisationen zu einer Gedenkfeier am Mahnmal auf dem KZ-Friedhof einladen, referiert Dr. Heinz Risel, Nordheim, beim Februar-Stammtisch des Zabergäuvereins über dieses schwarze Kapitel unserer Geschichte vor unserer Haustür. Ein Kapitel, das ihn seit seiner Studentenzeit beschäftigt.

Bereits 1987 hat er darüber ein Buch veröffentlicht. Da sich seither viele neue Quellen über die Verhältnisse im KZ erschlossen haben, darunter Interviews mit Augenzeugen, wird voraussichtlich im September in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Heilbronn eine Neuauflage erscheinen.

1944 wird Paris befreit. Lager müssen evakuiert werden, u.a. das Groß-KZ Natzweiler/Elsass mit seinen Außenlagern. Dessen Maxime ist so eindeutig wie menschenverachtend: Vernichtung durch Arbeit.

Bereits im Oktober sind die in Neckargartach errichteten Baracken, die meisten aus Holz, einige aus Beton, mit 1100 Häftlingen aus mehreren europäischen Ländern, darunter viele Slowenen, aber auch Franzosen und Italiener, aus dem Elsass und Lothringen belegt. Als „Vergehen“ reicht es, bei einer Hitlerrede nicht aufzustehen. Gegen Bezahlung werden sie von der SS als Fach- oder Hilfsarbeiter zu Rüstungsarbeiten im Salzbergwerk verliehen. Arbeitsfreie Tage gibt es keine.

Nach Beendigung der Arbeiten werden Ende März 1945 rund 350 gehunfähige Häftlinge per Bahn nach Dachau gebracht. Für die anderen beginnt am Ostersonntag ein 27-tägiger „Hungermarsch” dorthin, der auch durch Orte im Zabergäu führt. Durch erhaltene Aufschriebe von Häftlingen weiß man von dem unmenschlichen „Todesmarsch” mit vielen Gewaltexzessen und Erschießungen.

Kurz nach der Ankunft wird Dachau zwar von den Amerikanern befreit, aber viele Häftlinge sterben danach noch u.a. an Typhus.

Ein Bekannter eines slowenischen Häftlings, der ebenfalls Aufzeichnungen gerettet hat, fährt im Jahr 2000 noch einmal den gesamten Weg ab.

Das Lager in Neckargartach, so groß wie ein Fußballfeld und von Stacheldraht umgeben, besteht aus 7 Baracken für je 200 Häftlinge, 4 Wachtürmen, einer Kommandantenbaracke mit Schreibstube, Krankenrevier, Waschraum, Latrine.

Mangelernährung, schlechte medizinische Versorgung - ein polnischer Häftlingsarzt ist zuständig für 1200 Bewohner - und Gewalt sind an der Tagesordnung. Die Gesamtzahl der Toten liegt bei 350, 246 Tote liegen im Massengrab bei der Gedenkstätte.

Im Stadtarchiv Heilbronn befinden sich die von einem Dr. Eisele ausgestellten Totenscheine: gestorben an allgemeiner Körperschwäche. Die tatsächliche Todesursache festzuhalten, ist ihm untersagt.

Als „Häftlingsfunktionäre” mit gewissen Privilegien setzt man häufig Kriminelle ein.

Anwohner, die den erbärmlichen Zustand der Häftlinge auf dem Weg zum Salzbergwerk mitbekommen, legen ihnen Brot oder Obst an den Straßenrand – um eigene Schwierigkeiten deswegen zu vermeiden. Es gibt aber auch andere, die nach ihnen schlagen und noch größere Härte ihnen gegenüber fordern.

Begehrt ist die Arbeit bei der Ernte, wo die Gefangenen weniger Brutalität fürchten müssen. Das Wachpersonal wird zudem von den Bauern oft mit Essen „ruhiggestellt”.
Bereits 1946 sammelt der Neckargartacher KZ-Friedhofsausschuss (SPD, KPD, ev. Kirche) Geld für ein Mahnmal, errichtet aus Steinen der gesprengten Neckarbrücke.

Habe man sich in den vergangenen Jahrzehnten in Heilbronn fast ausschließlich um die Aufarbeitung jüdischen Erbes gekümmert, Einladungen der ehemaligen Neckargartacher Häftlinge zu Gedenkveranstaltungen jedoch abgelehnt – ganz im Gegensatz zu Kochendorf, so Risel, habe OB Mergel dies nun zur „Chefsache“ gemacht.